CO2-Kompensation: Ablasshandel oder wirksame Lösung?

Die Weihnachtsferien nahen und alle erzählen sich gegenseitig von ihren aufregenden Ferienplänen. Doch David, ein Gymischüler aus der Stadt Zürich, der dieses Jahr mit seiner Familie nach Dubai reisen soll, schämt sich, seinem besten Freund von seinen Plänen zu berichten. Denn dieser ist engagierter Klimaaktivist und auch David hat schon an zwei Klimastreiks teilgenommen. David überlegt, nicht mitzufliegen und den Sommer in der Schweiz zu verbringen. Eine Woche vor der Abreise kommt ihm jedoch die rettende Idee: Die Flugreisen nach Dubai könnte er doch kompensieren! Aber als er seinen besten Freund endlich in seine Pläne einweiht, fällt dessen Reaktion ganz anders aus als erwartet: «Ist das dein Ernst? CO2-Kompensation ist doch völliger Ablasshandel!»

         David ist nicht der einzige, der in solchen Situationen mit seinem Gewissen ringt. Sei es die Veranstalterin einer internationalen Konferenz, die ihren Event möglichst umweltfreundlich durchführen möchte, oder ein Rollstuhlgänger, der partout nicht ohne Auto zurechtkommt – viele Menschen möchten heute ihren ökologischen Fussabdruck verbessern, wissen aber nicht, wie. Insbesondere in einem Land wie der Schweiz, in dem dreimal so oft wie im EU-Schnitt geflogen wird und der durchschnittliche jährliche Treibhausgas-Fussabdruck (fast 14 Tonnen CO2e pro Kopf) dreimal so hoch sind, wie es dem Planeten Erde eigentlich zuzumuten wäre, wird das Klimathema immer relevanter. Es wird immer schwieriger zu leugnen, dass die Hitzetage im Sommer mehr werden, der Schnee im Winter weniger und die Niederschläge stärker. Verschiedene Studien zeigen, dass die Schweiz überdurchschnittlich stark vom Klimawandel betroffen ist. Kein Wunder wird also das Klimabewusstsein und dadurch das Bedürfnis nach alternativen Lösungen immer grösser. Immer mehr Konsumenten sehen die CO2-Kompensation als ein willkommenes Mittel, das eigene Gewissen zu erleichtern, ohne viel dafür tun zu müssen. Tatsächlich ist klimaneutraler Konsum längst im normalen Alltag angekommen: Nur schon in der Schweiz gibt es Dutzende Anbieter von CO2-Zertifikaten, die bekanntesten unter ihnen South Pole, myclimate und Atmosfair. Durch den Verkauf der Zertifikate können zahlreiche Projekte wie Biogasanlagen, effizientere Kochherde, intelligente Heizungssysteme oder Wasserkraftwerke finanziert und somit Emissionen reduziert werden. Was hat es aber mit der CO2-Kompensation wirklich auf sich? Ist sie wie Davids bester Freund sagt wirklich nur «völliger Ablasshandel», oder etwa doch ein durchgreifendes Mittel gegen unvermeidliche Emissionen? 

         Fakt ist, dass gemäss dem Pariser Klimaabkommen bis 2050 Netto-Null Emissionen erreicht werden müssen, um eine Erwärmung von nicht mehr als 2°C zu gewährleisten. Für viele Länder bedeutet auch diese Grenze schon verheerende Folgen. Offensichtlich reicht es dafür nicht, die heutigen Emissionen bloss zu kompensieren, denn die eigenen Emissionen müssten alle zehn Jahre halbiert werden, um ansatzweise in die Nähe der 2-Grad-Grenze zu kommen. Trotzdem schliesst der Weg zum Ziel die CO2-Kompensation keineswegs aus. Vielmehr ist diese ein wesentlicher Teil der Lösung – so ganz nach dem Motto «do your best and offset the rest», also meide die Emissionen, die du kannst, und kompensiere die unvermeidlichen. Entscheidender als die Frage, ob sie überhaupt nötig ist, ist daher für die Umwelt die Differenzierung zwischen wirksamer und unwirksamer CO2-Kompensation. Nur sinnvoll ist diese nämlich bei Produkten oder Dienstleistungen, bei denen es zwar Potenzial für eine klimafreundlichere Alternative gibt, die Technologie dazu jedoch noch nicht entwickelt wurde. Beispiele dafür sind Langstreckenflugzeuge, der Versand von Paketen oder der Umzug per LKW. Auf der anderen Seite ist es jedoch weitaus weniger sinnvoll, Produkte oder Dienstleistungen zu kompensieren, deren Konsum im bestehenden Umfang nicht mit den langfristigen Klimazielen vereinbar ist und die eine Welt mit 8 Milliarden Menschen schlicht und einfach nicht verträgt – wie zum Beispiel der tägliche Fleischkonsum. Das gleiche gilt für die Kompensation von Produkten und Dienstleistungen, für die es jetzt schon gleichwertige klimafreundlichere Alternativen gibt und deren Entwicklung und Aufbau durch die Kompensation bestehender Technologien gebremst werden könnte. Verkauft man etwa kompensierten, fossil basierten Strom als «grünen Strom», schadet dies der Verbreitung der weitaus effektiveren erneuerbaren Energien.  

       Nun geht es jedoch bei einer wirksamen Kompensation nicht nur um das jeweilige Produkt, das klimaneutral gemacht werden soll, sondern auch um die tatsächliche Effektivität eines Kompensationsprojekts. Dafür sollten daher immer ein paar wesentliche Faktoren in Betracht gezogen werden. Zum einen gilt hier immer die Regel der Zusätzlichkeit. Das Projekt sollte nur durchgeführt werden, wenn es ohne Unterstützung nicht ohnehin lanciert würde, denn ansonsten werden auch ohne die Finanzierung durch CO2-Zertifikate Emissionen vermieden. Zum anderen darf keine Doppelzählung von Emissionsreduktionen passieren, sodass diese im Finanzierungsland wie auch im Durchführungsland registriert werden und eine Kompensation unwirksam gemacht wird. Ebenso zentral ist es, dass das Kompensationsprojekt keine Verlagerung von CO2-Emissionen ausserhalb der Grenzen des Projekts verursacht. Und zuletzt spielt noch die Projektlage eine Rolle. In den allermeisten Fällen ist nämlich anzunehmen, dass internationale Kompensation rein umwelttechnisch gesehen am wirkungsvollsten ist – denn die Durchschnittskosten für zertifizierte inländische Projekte betragen etwa 100 Fr. pro Tonne reduziertem CO2e, während es sich bei Auslandsprojekten um rund 10 Fr. pro Tonne handeln. Trotzdem sollte in diesem Fall bedacht werden, dass Inlandkompensation aus einer politischen Perspektive bis zu einem gewissen Mass genauso wichtig ist – zumal die Auslandkompensation nicht immer so billig bleiben wird, weil alle Länder irgendwann ihre Emissionen auf netto null begrenzen müssen.

       Da aber natürlich nicht erwartet werden kann, dass diese Faktoren bei der Auswahl eines Kompensationsprojekts von jedem selbstständig abgeschätzt werden können, gibt es diverse Standards und Prüfinstitutionen, welche die Glaubwürdigkeit und Transparenz von Kompensationsanbietern und ihren Projekten messen und zertifizieren. Als besonders seriös gelten Kompensationsanbieter, die auf den Clean Development Mechanism (CDM) oder Gold Standard setzen. Letzterer stellt sicher, dass die Kompensationsprojekte nicht nur ökologische, sondern auch sozioökonomische Vorteile mit sich bringen, sei es durch die Schaffung von Arbeitsplätzen oder der Förderung von Bildungsprogrammen. 

         Folgendes Fazit also: Vermeiden ist immer besser als kompensieren, aber ganz ohne CO2-Kompensation kommen wir bis 2050 nicht aus – deshalb gilt, zweimal zu überlegen, bevor man diese gleich als Ablasshandel bezeichnet, und glaubwürdigen Kompensationsanbietern eine faire Chance zu geben.

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Line Cottier, Praktikantin Southpole

Vorstandsmitglied Junge Grünliberale Zürich
Liste 29, jGLP Zürich

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