Warum Zürich mehr sichere Velowege braucht
Von Marc Vetterli
In der Stadt Zürich fahren immer mehr Leute Velo: Umweltfreundlich, platzsparend und gesund. Doch gleichzeitig hat die Stadt Zürich die Velowege nicht genügend ausgebaut. Weil die Infrastruktur nach wie vor oftmals schlecht oder gar nicht vorhanden ist, werden Velofahrer*innen immer häufiger Unfallopfer – mit tödlichen Folgen. Ein Artikel über die Müh(l)en der Stadt Zürich mit der Veloförderung und der Vision einer autofreien Innenstadt.
Velounfälle steigen dramatisch – das Velonetz bleibt ungenügend
Seit 2011 hat sich die Zahl der Unfälle mit Velofahrern mehr als verdoppelt: 2019 verunfallten 564 Velofahrer, während es 2011 noch 264 waren [3]. Die vielen Unfälle werden jedoch nicht primär von den oft zitierten «Rotlicht-Missachter*innen» verursacht. Bei Kollisionen sind Velos in der Stadt Zürich nur in rund der Hälfte Hauptverursacher [5]. Selbst die Stadt Zürich gibt zu, dass die starke Zunahme der Unfälle unter anderem an der teilweise «nicht optimalen» Infrastruktur für Velofahrer*innen liegt [2]. «Nicht optimal» ist dabei noch sehr optimistisch formuliert: Bei der letzten Auswertung des Fortschritts zum Zustand der Hauptrouten, also der wichtigsten Veloverbindungen, erfüllten nur rund 40% der Abschnitte die Standardanforderungen (Jahr 2018). 20% der wichtigsten Routen im Netz wiesen damals sogar keine Infrastruktur für Velos auf [4]. Die Planung von Velorouten funktioniert in Zürich nach wie vor nach dem gleichen Motto: Wenn es für’s Velo Platz hat, dann wird ein Velostreifen markiert, sobald der Platz eng wird, fehlt die Infrastruktur. Deshalb lösen sich auch Zürichs Vorzeige-Velorouten plötzlich in Luft auf.
Autos in der Innenstadt brauchen zu viel Platz
Einfache Lösungen gibt es nicht. Doch wer einen Blick auf die Fakten wirft, erkennt, dass das Problem der fehlenden Veloinfrastruktur nicht primär beim Platz liegt, sondern bei der Aufteilung der vorhandenen Fläche. Autos benötigen überproportional viel Platz, dies zeigt sich am nachfolgenden Beispiel: Auf der Bahnhofbrücke zum Central werden auf den 2 Tramgleisen täglich über 70’000 Personen transportiert. Auf den drei Autospuren über die Bahnhofbrücke hingegen fahren täglich rund 10’000 Autos, in denen im Schnitt etwa 1.1 Personen sitzen [1]. Nur schon anhand dieses Beispiels lässt sich erkennen, wie unglaublich flächenineffizient Autos sind. Mit Abstand am effizientesten ist der Fussverkehr, gefolgt vom ÖV, anschliessend dem Velo und am Schluss dem Auto.
Ohne MIV-Abbau geht es nicht
Möchte die Stadt Zürich das Velo und den ÖV wirklich konsequent fördern, kommt sie nicht darum herum, dem Auto mehr Fläche abzusprechen. Autos sind schlichtweg zu ineffizient für dicht genutzte Innenstädte. Beispiele aus der ganzen Welt zeigen, dass autofreie Innenstädte durchschlagenden Erfolg haben. Vorteile bestehen nicht nur für die Umwelt, sondern auch für das Gewerbe, Restaurants, Bars, die Aufenthaltsqualität und den Tourismus. Dies bedeutet nicht, dass Zürich autofrei wird – dies ist weder realistisch noch sinnvoll. Auch Autos haben ihre Berechtigung – einfach nur dort, wo es sinnvoll ist.
Weniger Fläche für’s Auto: Das geht doch nicht?!
Das ist unrealistisch? Die Vergangenheit belehrt uns eines Besseren, denn als in den 90er-Jahren das Limmatquai gesperrt werden sollte, war der Aufschrei gross: Ein Verkehrschaos würde dies verursachen und die Läden würden grosse Umsatzeinbussen erleiden. Auch 20 Jahre danach sind die Horrorszenarien von altbürgerlicher Seite nicht eingetroffen: Der Verkehr fliesst nach wie vor reibungslos und das Gewerbe floriert.
Leider darf die Stadt Zürich aktuell nicht mehr kantonale Strassen vom Autoverkehr befreien – mit der Annahme des Gegenvorschlags zur „Anti-Stau-Initiative“ wurde dies praktisch unmöglich. Die kantonalen Strassen machen dabei die Mehrzahl der vielbefahrenen Strassen aus. Auf kommunalen Strassen wäre aber bereits jetzt mehr möglich. Es braucht deshalb dringend eine Ausnahme im entsprechenden Gesetz, um hoch belastete Innenstädte vermehrt autofrei zu gestalten. Etwas schneller, bereits im September, besteht jedoch die Möglichkeit für einen weiteren wichtigen Schritt: Die Velorouten-Initiative kommt zur Abstimmung! Innerhalb von 10 Jahren sollen 50 Kilometer Veloschnellrouten umgesetzt werden, welche grundsätzlich frei von Autos sind. Die Jungen Grünliberalen Zürich wünschen ein grosses Ja! Und wer regelmässig mit dem Velo unterwegs ist, kann gefährliche Stellen hier (https://bikeable.ch/) markieren, sodass diese baldmöglichst behoben werden.
Literatur- und Quellenverzeichnis:
[1] Amt für Verkehr Kanton Zürich. (2020). GVM-ZH.
[2] Baumgartner, F. (2019). «Besorgniserregende Entwicklung» – Zahl der Velounfälle in der Stadt Zürich steigt massiv. NZZ.
[3] Dienstabteilung Verkehr Stadt Zürich. (2019). Verkehrsunfallstatistik 2019.
[4] Manz, E., & Lutz, M. (2019). Zürichs Mühen mit den Velowegen. Tages-Anzeiger.
[5] Stadtrat Zürich (2020). Schriftliche Anfrage von Res Marti und Matthias Probst betreffend statistische Ausweisung von Unfällen und deren Folgen mit Beteiligung von Velofahrenden in den letzten fünf Jahren sowie Auswertung des Unfallverursachenden im Vergleich mit den Unfällen unter Beteiligung eines Personenwagens. GR Nr. 2020/75.

Marc Vetterli
Vorstand interims Junge Grünliberale Zürich, Verkehrsplaner