Die Absurdität der Anti-Chaoten-Initiative und wie sie unsere Grundrechte bedroht

Menschen, die Sachen zerstören, sollen für die Schäden aufkommen müssen. Das erscheint auf den ersten Blick logisch, weshalb sich viele von diesem Gedanken leiten lassen und Ja zur Anti-Chaoten-Initiative stimmen. Der Beitrag soll aufzeigen, wieso dies verständlich, aber doch gefährlich ist.

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I. Ausgangslage

Erstmals zu dem, was heute sowieso schon gilt: Wenn ich etwas zerstöre – z.B. eine Fensterscheibe einschlage –, dann hafte ich für den Schaden (Art. 41 ff. OR) und kann wegen Sachbeschädigung bestraft werden (Art. 144 StGB). Bereits heute kann die Polizei die Kosten für einen ausserordentlichen Polizeieinsatz, welche durch eine Demonstration entstehen, sowohl den Veranstalter:innen als auch den einzelnen Teilnehmenden in Rechnung stellen. Die Rechtsgrundlage befindet sich im Zürcher Polizeigesetz (PolG/ZH):

§ 58: Polizeiliche Leistungen 1 Die Polizei kann Kostenersatz verlangen a. von der Veranstalterin oder vom Veranstalter eines Anlasses, der einen ausserordentlichen Polizeieinsatz erfordert, 1 Die Polizei kann Kostenersatz verlangen a. von der Veranstalterin oder vom Veranstalter eines Anlasses, der einen ausserordentlichen Polizeieinsatz erfordert, b. von der Verursacherin oder vom Verursacher eines Polizeieinsatzes, wenn diese oder dieser vorsätzlich oder grobfahrlässig gehandelt hat, [...]

Allerdings kann nach dem heutigen Recht nur der belangt werden, wer einen Schaden verursacht. Es muss der Person also nachgewiesen werden, dass sie für einen Polizeieinsatz oder den Schaden verantwortlich ist.

II. Was die Initiative verspricht

Was die Initiative nun will, ist gefährlich: Sie will, dass generell alle anwesenden Personen für generell alle Polizeieinsätze und Sachbeschädigungen im Rahmen einer unbewilligten Demonstration zahlen müssen – unabhängig davon, ob die Demonstration gewalttätig war oder nicht. Das Resultat: ein sogenannter "Chilling Effect". Durch die Androhung, dass eine friedlich demonstrierende Person unter Umständen mehrere Tausend Franken bezahlen muss, werden viele Menschen davon abgehalten, an Demonstrationen teilzunehmen und damit ihre Grundrechte auszuüben. Das wird auch das Ziel der Jungen SVP sein – denn finanzielle Vorteile erlangt das Gemeinwesen durch diese Initiative nicht (weitere Ausführungen unter dem Titel IV).

III. Das Problem

Die Initiative widerspricht der Bundesverfassung – namentlich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit – in erheblicher Weise. Das Bundesgericht musste bereits die Polizeigesetze der Kantone Bern und Luzern, welche gewalttätige Demonstrierende ebenfalls mit Kosten belegen wollten, auf ihre Verfassungsmässigkeit prüfen und hat dabei verschiedene Grundsätze festgelegt. Erstens sind die Polizeigesetze aus den Kantonen Luzern und Bern dahingehend von der Zürcher Initiative zu unterscheiden, dass sich die Kostenpflicht in Luzern (§ 32b Abs. 1 PolG/LU; BGE 143 I 147 E. 5.3.1) und Bern (Art. 53 Abs. 1 PolG/BE; BGer 1C_181/2019 E. 4.3) nur gegen gewalttätige Demonstrationen richtet. Die Anti-Chaoten-Initiative setzt keine Gewaltanwendung für die Kostenpflicht voraus, wodurch sie sich als strenger erweist. Das Bundesgericht müsste im Fall der Annahme der Initiative entscheiden, ob die Kostenpflicht auch ohne die Voraussetzung von Gewalttaten verhältnismässig ist. Da das Bundesgericht in der bisherigen Rechtsprechung die Verhältnismässigkeit ähnlicher Grundrechtseinschränkungen gerade aufgrund des Vorliegens von Gewalttaten bejaht hat, erscheint dies zweifelhaft. Zweitens hat das Bundesgericht im Grundsatzentscheid zum Luzerner Polizeigesetz festgelegt, dass es nur möglich ist, “die Kosten nach Massgabe des konkreten Tatbeitrags und damit entsprechend dem Grad der Verantwortung für die Störungssituation zu verlegen. Jeder Störer darf zur Kostentragung seines Störungsanteils – und ausschliesslich für diesen Teil – herangezogen werden” (BGE 143 I 147 E. 12.3). Das heisst, die Vorstellung, man nehme die Kosten für den Polizeieinsatz und die Sachbeschädigung und teile sie durch die Anzahl der Demonstrierenden, würde vor Bundesrecht nicht standhalten. Vielmehr muss die Polizei die Kosten individuell nach dem Grad des Verschuldens definieren und in Rechnung stellen. Damit wird deutlich: Die Initiative ist mit ihren Forderungen verfassungswidrig und der verfassungskonform umsetzbare Teil würde nicht mehr dem entsprechen, was die Initiant:innen propagieren.

IV. Die Kosten

Es leuchtet ein, dass es für die Polizei nicht einfach ist, jeder demonstrierenden Person eine individuelle Kostenrechnung zuzustellen, welche sich nach dem persönlichen Verschulden richtet. Genau das ist auch der Grund, weshalb von der aktuellen Regel im § 58 des Zürcher Polizeigesetzes nicht Gebrauch gemacht wird: Im besten Fall lassen sich damit gerade mal die zusätzlichen Kosten für die Untersuchung begleichen – insbesondere wenn man die Kosten der Gerichtsprozesse mit einkalkuliert. Ein Beispiel: In der Stadt Bern kam es zu diversen Corona-Demonstrationen, welche gesamthaft mit Polizeikosten von ca. CHF 200'000 verbunden waren. Gemäss Recherchen von “Schweiz Aktuell” konnte die Stadt Bern gerade mal 6 Personen rechtskräftig Kosten von je CHF 200 bis CHF 1’000 auferlegen. Es konnte somit nur ein marginal kleiner Teil weiterverrechnet werden. Die Kostenpflicht hatte langwierige Gerichtsverfahren zur Folge (zum Artikel: https://www.srf.ch/news/schweiz/corona-demonstrationen-stadt-bern-stellt-erstmals-sicherheitskosten-in-rechnung).

V. Fazit

Die Initiative klingt auf den ersten Blick einleuchtend. Befasst man sich jedoch ausführlicher mit der Thematik, wird schnell klar, dass das Problem nicht bei fehlenden Rechtsmitteln liegt, sondern in der Natur der Demonstrationen. Diese sind für die Polizei oft unübersichtlich, was es ihr schwierig macht, Fehlverhalten einzelnen Personen nachzuweisen. Die Initiative schafft einen riesigen Staatsapparat, indem die Polizei illegale Demonstrierende neu verfolgen muss (und nicht mehr nur kann, wie heute bereits der Fall). Mehr Geld in die Staatskasse – wie es die Initiant:innen versprechen – spült die Initiative nicht. Im besten Fall (für die Initiant:innen) führt sie jedoch dazu, dass Menschen sich fürchten, hohe Kosten für die Ausübung ihrer Grundrechte tragen zu müssen und deswegen vermehrt darauf verzichten.